28. April 2024

»Dieses Spiel darf Dortmund nicht gewinnen«

Borussia Mönchengladbach verspielt in Dortmund in kürzester Zeit einen 2:0-Vorsprung und steht am Ende einmal mehr mit leeren Händen da. Selten war die obligatorische Niederlage im Westfalenstadion so unnötig wie diesmal.

Eine gewisse Leere konnte man schon zur Pause in den Gesichtern der Gladbacher Profis ausmachen. Im Dortmunder Dauerregen wirkten sie auf dem Weg in die Kabinen wie die begossenen Pudel. Aufgrund des sintflutartigen Niederschlags, aber vor allem der drei Wirkungstreffer der Dortmunder innerhalb von fünfzehn Minuten. Wie konnte es nur passieren, dass die Fohlen nach einer nahezu perfekten ersten halben Stunde und einer 2:0-Führung mit einem Rückstand in die Pause gehen?

Letztlich waren es tatsächlich Kleinigkeiten, mit denen sich die Gladbacher selbst ins Knie schossen und gleichzeitig die sportlich schon scheintoten Dortmunder wiederbelebten. In der Anfangsphase war es eine perfekte Mischung von konzentrierter Arbeit gegen den Ball und einem forschen Offensivspiel. Es war beeindruckend, wie zügig und ballsicher die Borussen ihr vertikales Spiel aufzogen. Der BVB konnte froh sein, dass es nach 28 Minuten nur 0:2 stand. 

»Das ist ein Punkt, wo wir uns unbedingt weiterentwickeln müssen«

»Die erste halbe Stunde war sehr präzise, sehr genau und kompakt«, analysierte Gladbachs Coach Gerardo Seoane. »Wir sind auch verdient in Führung gegangen«. Rocco Reitz bewies einmal mehr eine überragende Stabilität und Coolness, als er den Traumpass von Plea verwertete. Und Manu Koné zeigte seine ganze Dynamik und Schussgewalt. Nach dem zweiten Gegentor schien Dortmund am Boden und die Borussen wollten ihnen den nächsten Treffer verpassen – doch der etwas überhastet vorgetragene Angriff wurde zum Anfang vom Ende. Ein klares Foul von Schlotterbeck an Honorat blieb ungeahndet, weil die Fohlen im Ballbesitz blieben und der Schiedsrichter auf Vorteil entschied. Das Anspiel von Reitz auf Koné war keinesfalls zu risikoreich, doch der Franzose unterschätzte die Vehemenz, mit der Reus dazwischenfunkte und den Dortmunder Konter einleitete. 

Wöber verteidigte nicht gut gegen Brandt und die folgende Direktabnahme von Sabitzer hätte Nicolas möglicherweise abwehren können, wenn Scally nicht entscheidend abgefälscht hätte. Eine Verkettung unglücklicher Umstände und Dortmund war aus dem Nichts wieder im Spiel. »Nach dem 2:1 hatte ich das Gefühl, dass uns ein bisschen der Stecker gezogen wurde«, sagte Seoane. »Das ist der Punkt, der entscheidend ist: Wie reagiert man nach einem Gegentor, wie reagiert man nach einem Fehler. Das ist uns den Anschlussminuten, wie einige Male in dieser Saison schon, nicht gelungen. Das ist ein Punkt, wo wir uns unbedingt weiterentwickeln müssen.« Keine zwei Minuten später reichten ein einfacher langer Ball von Bensebaini in den Rücken der Abwehr und eine Kopfballvorlage, um Füllkrug in Position zu bringen. Dessen Abnahme war – ob so gewollt oder nicht – mustergültig und unhaltbar. 

»Manu war sehr motiviert, aber vielleicht auch etwas übermotiviert«

»Wir haben die Kontrolle abgegeben und sind bitter bestraft worden«, ärgerte sich Sportchef Roland Virkus. »Es muss uns gelingen, in so einer Phase ruhiger zu sein und cool zu bleiben«. Doch die Rückschläge konnten die Borussen nicht so einfach abschütteln und schließlich kam noch der entscheidende individuelle Fehler von Manu Koné hinzu. Solch ein Harakiri-Dribbling vor dem eigenen Strafraum darf er niemals machen. »Manu sieht, dass er sein Potenzial in den letzten Spielen noch nicht abgerufen hat«, sagte Gerardo Seoane. »Er war gut im Spiel und macht das Tor. Er war sehr motiviert, aber vielleicht auch etwas übermotiviert und er wollte bei der einen oder anderen Situation zu viel.«

Wieder war es Reus, der sich gegen Koné durchsetzte. Dass der Ex-Gladbacher beim Schuss von Bynoe-Gittens im Abseits und gleichzeitig Sichtfeld von Nicolas stand, wurde vom VAR nicht moniert. Roland Virkus sprach davon, dass solche Situationen schon anders bewertet wurden und verwies zudem auf das nicht geahndete Foul an Honorat vor dem ersten Dortmunder Tor. In beiden Fällen kann man der Argumentation folgen, wobei die Auslegung der Unparteiischen auch nicht grundsätzlich falsch war. Es passte halt alles in diese schlimme Phase vor der Pause. »Natürlich tun diese fünfzehn Minuten weh, wo du zu spüren bekommst, welche Effizienz bei hoher Qualität bei Dortmund möglich ist«, sagte Seoane.

Kramer verballert fahrlässig den Lucky-Punch

Nach der Pause hingen die Fohlen deutlich in den Seilen und Dortmund hätte den Sack zumachen können. »In der ersten Viertelstunde der zweiten Halbzeit war es ein wenig glücklich, dass wir nicht mit zwei Toren in Rückstand gehen«, musste Seoane zugeben. »Da hatten wir einen hervorragenden Torwart auf der Linie«. Nicolas hielt seine Mannschaft auf Schlagdistanz und weil Dortmund nach dem Lattenfreistoß von Reus nicht mehr ins Risiko ging, schnupperten die Borussen nochmals am Punktgewinn. Seoane wechselte offensiv und stellte auf Viererkette um. »Mit Robin Hack und Nathan Ngoumou als breiten Flügeln wollten wir eins-gegen-eins Situationen kreieren und mit Flo Neuhaus und Chris Kramer etwas das spielerische Element im zentralen Mittelfeld einbringen«, erläuterte der Coach. 

»Am Schluss waren wir wieder im Spiel und Chris hat den Lucky-Punch auf dem Fuß, da hätten wir uns alle gewünscht, dass er unter die Latte geht. Aber das müssen wir so mitnehmen«, sagte Seoane. Kramer hatte den freien Schuss mit vollem Risiko genommen und haarscharf am Tor vorbeigeschossen. Das war Pech, aber ohne Frage auch in gewisser Hinsicht fahrlässig – gerade bei so einem erfahrenen Profi wie Kramer. Dass Dortmund ganz am Ende sogar noch den Konter aufs leere Tor vollenden konnte, war nicht mehr relevant, sorgte aber dafür, dass das Endergebnis von 4:2 die wahren Kräfteverhältnisse deutlich verzerrte. »Dieses Spiel darf Dortmund nicht gewinnen«, sagte Roland Virkus. 

»Das x-te Mal in dieser Saison …«

Bei aller Enttäuschung fand Gerardo Seoane aber auch lobende Worte für sein Team. »Insgesamt haben wir heute einen Schritt nach vorne gemacht, mit einer sehr guten fußballerischen, aber auch taktischen Leistung. Kompliment an die Mannschaft, aber es gibt natürlich einige Punkte, die es anzusprechen gilt, wenn du 2:0 führst, das x-te Mal in dieser Saison, dass es uns da nicht gelingt, länger diese Distanz im Spiel zu halten.« Und daher blieb den Borussen nichts anderes übrig, als die nächste Niederlage im Westfalenstadion zu schlucken. Wohl wissend, dass diese selten so unnötig war wie diesmal.

von Marc Basten TORfabrik.de – Foto: Norbert Jansen – Fohlenfoto